05.08.2021 13:36

Communities

Die Pflanzen im Spreepark sind stark gewachsen, insbesondere die Götterbäume überall an den Wegrädern und die im Frühjahr geschnittenen Robinien am Fuß des Felsens. Sie sind bereits wieder schulterhoch. Allgemein rücken die Pflanzen immer mehr in meinen Fokus. Das hat mit einem Subprojekt zu tun, welches ich in Locarno in der Südschweiz begonnen habe, als ich pandemiebedingt nicht nach Deutschland reisen konnte.

Durch die Stadt am Lago Maggiore ziehen sich viele kleine Schluchten, die von Bächen, die von den Bergen oberhalb Locarnos zum See fließen und tiefe Rinnen in den Glimmerfels gespült haben. Die stark gesättigten Wolkenmassen, die vom Mittelmeer nordwärts ziehen, regnen an den Südhängen der Tessiner Berge ab. Schlechtes Wetter in der Südschweiz bedeutet meist ungeheure Wassermengen, die sich ihren Weg zum See bahnen, es herrscht ein subtropisches Klima.

Seit einigen Monaten arbeitet ich mit der Kamera in den wilden Schluchten Locarnos. Ich untersuche die neue Vegetation, die sich dort angesiedelt hat. Auf den ersten Blick wähnt man sich im Dschungel Borneos – bei genauerem Hinschauen zeigt sich aber ein Mix aus heimischen Pflanzen und exotischen Gartenflüchtlingen. Ich beschäftige mich in meiner  Recherche nicht nur mit der ästhetischen Erscheinung dieser neuen Pflanzengemeinschaften, sondern auch mit dem Vokabular der Invasionsbiologie, welches bisweilen an xenophobe Diskurse in menschlichen Gesellschaften erinnert. Und ich stelle mir dabei Fragen wie: Wie wird die Vegetation der Zukunft aussehen – eine Vegetation, die sich dem Klimawandel angepasst hat? Gibt es in der Natur überhaupt so etwas wie eine heimische Flora oder ist diese sowieso einem steten Wandel unterzogen, der sich über große Zeiträume erstreckt?

Eigentlich dachte ich , ich hätte den Park bereits fotografisch ausgeschöpft. Mit der neuen, auf Pflanzen fokussierten Thematik ergeben sich neue Motive: Pflanzengemeinschaften. Ähnlich wie im Tessin entstehen im Spreepark ganz neue Communities, die sich aus Zierpflanzen der Parkanlage, eingeschleppten Neophyten und der sonst hier am Fluss üblichen Vegetation zusammensetzen. Und auch hier frage ich mich, ob das, was ich fotografisch dokumentiere, die Vegetation der Zukunft ist – eine, die möglicherweise gegenüber Klimawandel und Trockenheit resistenter als die ursprüngliche ist.

Demgegenüber scheint hier in Berlin das Wetter im Sommer offenbar besser gewesen zu sein als im Westen Deutschlands und in der Schweiz, wo der intensive Dauerregen zu Überschwemmungen bislang ungekannten Ausmaßes geführt hat. In vielen meiner Projekte, in denen ich einen Landschaftsabschnitt beobachte, frage ich mich, ob ich hier Vorboten einer neuen Flora und Fauna beobachte, oder ob letztlich-  wenn die Dinge sich wirklich fatal entwickeln sollten und alles einfach vertrocknet – wir durch eine braune, abgestorbene Landschaft wandeln, auf der Suche nach Nahrung, etwa so wie im Film „The Road“.

Die neue Wildnis: Alles gerät aus den Fugen, ordnet sich neu, die Zyklen beschleunigen sich, Stürme brechen das neu Gewachsene und anderes macht sich wiederum breit.