Artifizialität
Es ist noch nicht viel auf den Aufnahmen der letzten 48 Stunden zu hören – wohl sind räumliche Unterschiede auszumachen, zwei der vier Recorder sind ja in halboffenen Innenräumen platziert und man hört, wie bei Regen Wasser durch die undichten Dächer tropft. Dennoch sind die kleinen Variationen in den Umgebungsgeräuschen interessant: Das Brausen, Rauschen der Stadt klingt je nach Lage der Recorder und mit der sich ändernden Windrichtung verschieden, auch die Geräusche des Regens klingen an allen Standorten unterschiedlich.
Die Fotofallen im Bootshaus und hinter dem Drachenkopf haben je einen Waschbären gefilmt, in den Audioaufnahmen ist aber nichts zu hören; sie scheinen sich sehr leise zu bewegen. An zwei Standorten sind anhaltende, rhythmische Rufe in der Nacht zu hören – Rufe der Waschbären im Parkgelände? Dazu muss ich meine Aufnahmen mit Referenzen in bioakustischen Archiven vergleichen, um bestimmen zu können, was ich höre.
Das gilt auch für die Vogellaute frühmorgens und in der Nacht; Eule oder Kauz? Auf der Insel ein kurzer, intimer Moment: Das Flattern von Vogelflügeln, ein Picken an der Rinde nahe bei Mikrofon des Recorders. Die stillsten Orte sind bis jetzt die Insel und das Innere des Felsens – auch wenn das Gerumpel eines nahen Zementwerks überall und auch in der Nacht zu hören ist.
Beim Durchhören der Aufnahmen zieht die Räumlichkeit der Recorder-Standorte mehr und mehr meine Aufmerksamkeit auf sich. Der Park mit seiner zerfallenden Vergnügungsinfrastruktur ist ein Gefüge von unterschiedlichen akustischen Räumen: In den Innenräumen ist mit dem zunehmenden Zerfall vermehrt auch der Aussenraum zu hören; der Innen- wird zum Aussenraum. Die Räume/Gebäude im Park sind ja inszenierte, artifizielle Gebilde und dennoch in ihren akustischen Eigenschaften reale Räume. Das Artifizielle ist real – was mich an Deleuze/Guattaris Gedanke im Anti-Ödipus erinnert, noch im Zeitalter des Analogen im Übergang zum Digitalen verfasst: Das Künstliche wird immer realer.
Was ist die architektonische Funktion von Vergnügungspärken? Simulationen anderer, ferner Orte – eine Art Filmkulisse gesellschaftlicher Affirmationen und Sehnsüchte… und Repräsentationen von staatlichen Idealen und Möglichkeiten. Und dann verschwindet ein Staat und seine Ideal-Budenstadt zerfällt. Offenbar gab es im damaligen Kulturpark ein Gebäude am Ende der Pappelallee (die nicht mehr da zu sein scheint): Ein futuristisches, UFO-artiges Gebilde, in dem ein Studio für Beschallung und Durchsagen im Park eingerichtet war: Das Futuro-Haus. Dieses wieder im Park aufzubauen und die Soundscape des Parks akustisch und musikalisch mit einem Parksender zu erschliessen wäre spannend. Ein UFO im Lost Place.
Auch ein Thema für meinen «Bau»: Wie wird die urbane Leerstelle neu besiedelt, welche Geräusche etwa machen Pflanzen, die vorher hier nicht wuchsen? Vielerorts sind urbane Leerstellen bereits einem Gestaltungsplan unterzogen worden. Das ist auch im Spreepark geplant – und wiederum die Frage nach der Künstlichkeit: Inwiefern kann diese real werden, inwiefern können hier Pflanzen, Tiere, Menschen eine Koexistenz finden?