10.08.2021 15:04

Anthropozentrismen

Ich folge wiederum den Pflanzengemeinschaften entlang der zementierten Wege – das Bühnenartige dieser Situationen hat es mir angetan: Die neuen Gemeinschaften betreten die Bühne des Anthropozäns. Die Vegetation übernimmt und bestimmt das Schauspiel.

Die Wiese auf der Insel ist sehr hoch und Blütenpflanzen wie Nachtkerze, Distel und kanadische Goldrute leuchten aus dem dunklen Gras unter den zu kleinen Bäumen gewucherten ehemaligen Hecken. Die Recorder sind gewartet – heute bezahle ich aber für das gesammelte Material einen höheren Preis als üblich: Ich muss vormittags aus einer völlig verdreckten AirBnB-Wohnung in Kreuzberg wieder ausziehen; der Dorn einer Brombeerranke beim Zugang zur Insel/dem ehemaligen Amphitheater reißt mein Ohrläppchen in zwei Hälften und zu allem Überfluss verrenke ich noch mein Knie, als ich mich unter den Ästen des Baums mit dem Recorder der Insel durchzwänge. So humple ich blutig und lädiert zurück zum Eingang und zur Busstation Plänterwald, nur um im Hotel festzustellen, dass die Lokführer der Bahn streiken und ich in Berlin festsitze…

Am Vortag besuche ich die Ausstellung von Zheng Bo im Gropiusbau – ein verheißungsvoller Titel lockt mich dort hin: „Rat der tausend Dinge“. Einiges im Ausstellungstext lehnt sich an gerade oft zitierte Ideen von Bruno Latour,  Donna Haraway oder Timothy Morton an – hier nun die chinesische Version mit einem Schuss Tao. Bo fragt sich, inwiefern Pflanzen politisch sein können, respektive wie sie Politik machen. Das Gespräch, welches er in einem Video mit dem Biologen Matthias Rillig führt, scheint mir sehr durch die üblichen Anthropomorphismen geprägt, die meiner Meinung nach wenig zu einer neuen Perspektive auf die Pflanzen, respektive deren Ökologie beitragen.

Wie so oft wird hier einfach nur versucht, Interaktionen im Pflanzenreich in menschliche Interaktionen und Sozialbegriffe zu übersetzen. Dabei kommt nichts Brauchbares oder Neues heraus. Auch die vielen konzeptuell/thematisch ausgelegten Zeichnungen bieten da wenig neue Sichtweisen, es scheint hier eher um die Performativität des Zeichnens als „Interaktion“ mit den abgebildeten Pflanzen zu gehen als um ein zeichnerisches Suchen nach anderen Darstellungsformen. Auch führt der Künstler draußen vor dem Museum eine Reihe von Performances durch, zu denen man sich anmelden kann – was ich aber bleiben lasse, da mir diese viel zu esoterisch daherkommen. Der esoterische Zugang zur Umwelt scheint mir nichts anderes als eine zusätzliche Verklärung und Idealisierung dessen zu sein, was wir Natur nennen und dessen überkommene Begrifflichkeit wir endlich loswerden sollten. In der Esoterik und auch bei Bo bleibt der Mensch im Mittelpunkt des Geschehens, und dies scheint mir das eigentliche, grundlegende Problem.

Ich verstehe Bos Ringen um Annäherungen aus anderen Blickwinkeln, letztlich scheinen mir seine Ansätze aber zu versagen. Neue Sichten, andere Zugänge zur Welt und unserer Position in ihr können meiner Meinung nach nur über eine neue künstlerische Sprache und Perspektive gefunden werden, eine, die neue künstlerische Mittel erprobt, den Menschen aus dem Zentrum rückt und ihn als Teil von etwas Größerem darstellt; das wäre mein Tao.