12.06.2021

Urban Ecology

Heute ist mein Soundwalk im Rahmen der Co-Habitation-Ausstellung angesagt. Am Vormittag mache noch Aufnahmen im Boden einer Wiese – es ist ziemlich viel Aktivität zu hören – ein Umstand, der mich im urbanen Raum immer wieder überrascht. Auch in so genannten „Kultosolen“, das sind Böden, die durch die menschliche Kultur geprägt sind, etabliert sich eine durchaus vielfältige Bodenfauna. Die Biodiversität ist bisweilen in urbanen Nischen höher als in ländlichen Gebieten, wo intensive Landwirtschaft diese oftmals stark sinken lässt.

Während der Führung kommt ausgefeilte Technik zum Einsatz: Ich spreche über ein Mikro, alle haben Kopfhörer auf und ich kann meine punktuellen Aufnahmen direkt einspielen, was unseren Walk zu einer wirklich erweiterten Landschaftserfahrung macht. Insbesondere die Bodengeräusche rufen begeisterte Reaktionen bei den Teilnehmenden hervor, besonders die Geräusche eines Regenwurms, der sich seinen weg durch die Bodenmatrix bahnt.

Die folgende Diskussion mit dem Publikum ist äußerst angeregt und spannend. Vieles dreht sich um die Frage, was Natur eigentlich ist, und inwiefern Natur ein vorwiegend kultureller Begriff ist. Ein Biologe erzählt, dass Urban Ecology – Stadtökologie – in Berlin einen ihrer Ursprünge hat. Weil man zu DDR-Zeiten nicht auf das Land rauskam und die Stadt als biologisch „tot“ galt, begann sich die ökologische Forschung dafür zu interessieren, ob dem auch tatsächlich so ist.

Ich finde besonders folgende Aspekte interessant, die städtische Ökosysteme auszeichnen und welche ich besonders im Spreepark antreffe:

Heterogenität: Bereiche außerhalb von asphaltversiegelten und lebensfeindlichen Zonen bieten auf engem Raum eine Vielzahl unterschiedlicher Habitate. Obwohl auch natürliche und Agrarlebensräume heterogen sind, erweisen sich urbane Habitatmosaike als vielfältiger und kleinräumiger. Städte weisen typischerweise Fragmente natürlicher Lebensräume auf, die alle ihre charakteristische Artenausstattung aufweisen.

Dynamik: Städtische Lebensräume sind typischerweise oft gestört und kurzlebig. Neben wiederkehrenden Störungen sind Nutzungswechsel, vollkommene Zerstörung der Vegetationsdecke, gefolgt von jahrzehntelangen Ruheperioden, jederzeit möglich.

Schneller Artenwechsel: In Städten werden mit den immer fliessenden Materialströmen ständig Samen von Pflanzenarten eingetragen. Fremde Arten werden in Gärten und Grünanlagen angepflanzt und kultiviert, von denen einige in freier Wildbahn überleben können. Diese bilden neue Gemeinschaften mit indigenen Spezies. (Quelle: Wiki Urban Ecology)

Am Abend findet dann mein Konzert im Silent Green statt. Die Ausstellung «Co-Habitation» fokussiert vor allem auf das Zusammenleben von Mensch und Tier in den Städten, mir gefallen die Biosphere-Fiktionen und Transparente, die überall von der Decke hängen. Einiges in der Inszenierung der Ausstellung kommt mir bekannt vor – sie trägt eindeutig die Handschrift meiner überraschend verstorbenen Freundin und Kuratorin Marion von Osten und ihres Partners Peter Spillmann, etwa die Büchertische, so wie ich sie aus Marions frühen Ausstellungen in der Shedhalle Zürich kenne.

Die Aufführung dauert vier Stunden – eine halbe Ewigkeit. Was mir an der Situation gefällt, ist, dass das Konzert sehr installativen Charakter hat und das Publikum immer wieder wechselt. So kann ich Elemente einige Male wieder aufgreifen und neu interpretieren/spielen. Peter meint im Anschluss, dass diese Live-Situation der Ausstellung einen ganz anderen Charakter gäbe – der Klang füllt den Raum und erzeugt ein wenig wie Satie’s Musique d’Ameublement eine klangliche Grundstimmung, eine stärker emotionalisierte Ausstellungssituation.