07.10. 2020 09:13

Aufbau

Mit einer schweren Tasche voller Recorder und Fotofallen trete ich durch das grüne Tor, der Wächter derselbe wie gestern – ein einsilbiger Mensch. Das Gelände wird bewacht, da immer wieder Leute über den Zaun steigen, um die Wildnis des Spreeparks zu erkunden oder sich ein Souvenir zu holen. So fehlen den auf einer Wiese liegenden Dinos Köpfe und Beine; offenbar wurden einzelne Gliedmaßen im Garten der ehemaligen Besitzerfamilie gesichtet. Auch Sprayer haben den Park ausgiebig markiert, sei es mit Tags auf dem im leeren See gestrandeten Wikingerschiff oder Graffitis auf den Bäuchen der Dinosaurier.

Ich habe keinen spezifischen Plan, wo ich meine Recorder platzieren werde, dazu fehlte einerseits die Zeit vor der überstürzten Abreise nach Berlin, andererseits will ich mich hier von vorgefundenen Situationen leiten und inspirieren lassen – ohne festen Plan einfach ins Gelände gehen und schauen, was ist und werden kann.

Ich habe bereits gestern während des ersten Rundgangs mit Nina Mende ein paar Orte ins Auge gefasst, die ich heute näher erkunden will. Zudem ist die Thematik ja bereits gegeben: Kohabitation, das Ausstellungsthema – also Orte, Räume, wo Menschen und – Tiere? Wildtiere? Nichtmenschliche Lebewesen? Was ist hier der adäquate, nicht hierarchisierende oder abgrenzende Begriff? – zusammenleben.

Ich beschließe, auf die Frage der Begrifflichkeit insofern einzugehen, als ich vor Ort Menschen wie Tiere ohne Unterscheidung wie ein Wildtierbiologe beobachte, mit automatischen Audiorecordern und Fotofallen, die ich an für mich interessanten Orten bis zum nächsten Sommer installiere. Von Interesse sind dabei Stellen, wo mutmaßlich «Verkehr» herrscht – wo Menschen wie Tiere zirkulieren, respektive sich aus denselben oder verschiedenen Gründen bewegen oder aufhalten: Das Terrain, das Revier erkundend, auf Beutezug umherstreifend, Schutz vor dem Wetter suchend, sich versteckend, gut begehbare Pfade im überwachsenen Park benutzend usw.

Auch entwickle ich erste Ideen für eine Installation. Das gesammelte Audio- und Videomaterial soll in einer Art rhizomatischen Bau zusammenfinden – ein deleuzianischer Bau, ein akustisches Gefüge, in dem sich die hörbaren Aktivitäten der im Spreepark verkehrenden/lebenden Entitäten zu einer fiktionalen Gemeinschaft und Soundcape organisieren:

«Auch der Bau der Tiere ist in all seinen Funktionen rhizomorph, als Wohnung, Vorratslager, Bewegungsraum, Versteck und Ausgangspunkt.» (Deleuze/Guattari 1992)

Der Bau soll aus einer explorativen, temporären – vielleicht nomadischen – Architektur bestehen, die die Soundscape des Spreeparks erkundbar macht. So, wie dies vor Ort nicht möglich wäre: In einer zeitlichen und räumlichen Kompression. Zeitliche Kompression insofern, als dass die Recorder in Intervallen aufnehmen und so eine Art akustischer Timelapse entsteht. Räumliche Kompression, indem Orte im Bau zusammen gehört werden können, die relativ weit auseinander liegen und die man vor Ort nicht alle zur selben Zeit hören kann.

Es sind im Spreepark nun je zwei Stationen «indoors» und «outdoors» installiert. Indoors im Hohlraum des künstlichen Felsens und im Bootshaus der Wildwasserbahn, outdoors auf der Insel beim Riesenrad und im Wald hinter dem Drachenkopf der Spreeblitz-Achterbahn. Es sind Orte, die mich auch visuell interessieren: Etwa der unheimliche Katzenkopf der Achterbahn, das Gewirr des improvisierten Gebälks im künstlichen Felsen, oder die Wiese in der Mitte der Insel, die umrankt ist von wild wuchernden Hecken, hinter denen das Riesenrad zu sehen ist. Und nicht zuletzt das Bootshaus mit den gestauten gelben Wildwasserbooten, die im trockengelegten Kanal gestrandet sind.

Das Bootshaus scheint auch akustisch der interessanteste Ort zu sein, da es nahe an der Spree und am Uferweg liegt. So ist hier auch das Geschehen außerhalb des Parks zu hören, da das Bootshaus ein rundum offener Bau ist.

Es gäbe noch einige spannende Orte, um das Leben im Spreepark zu beobachten, etwa das riesige Zelt des 360°-Kinos, die Kulisse des englischen Dorfes. Meinen Erkundungen sind aber akustische Grenzen gesetzt: In einem größeren Teil des Spreeparks wird bereits gebaut, Bau- und Maschinenlärm würde meine Aufnahmen beeinträchtigen, und so bewege ich mich vor allem im Teil des Parks, der wie eine Halbinsel in die Spree ragt.

Deleuze, G., Guattari, F., Ricke, G., & Rösch, G. (1992). Tausend Plateaus. Berlin: Merve.

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